Dienstag, 4. November 2014

Schmatzschlürfer und Schnodderschniefer

Welche Verhaltensweisen in Gesellschaft anderer akzeptabel sind, darüber gehen die Meinungen in Ost und West teils weit auseinander.



So gilt es im Allgemeinen in Japan als ein Gipfel der Unhöflichkeit, sich im Beisein anderer die Nase zu schnäuzen. Das Hochziehen des Schnodders ist hingegen völlig normal und in jeder Situation angebracht. Man stelle sich einen Europäer inmitten einer winterlichen, überfüllten japanischen U-Bahn vor: Stille (vom konstanten Gezwitscher der E-Vögel und Ansagerinnen einmal abgesehen), und etwa im Takt von 5 Sekunden wird geschnieft und geschnupft, dass es einem die Ohren kräuselt. In Japan völlig normal und keineswegs unhöflich, wie auch das Ignorieren niesender Menschen, denn ein "Gesundheit!" existiert nicht.


Damit sind wir auch schon bei der generellen U-Bahn-Etikette. Völlig in Ordnung sind das Gähnen ohne vorgehaltene Hand und bei vollen UBahnen/Bussen das kommentarlose, energische Hineindrängen anderer, um selbst noch Platz zu finden. Inakzeptabel sind hingegen das Telefonieren (auch bei uns ja eher nervig, aber geduldet), das Nicht-Abwarten-Können, bis alle Aussteigenden auch wirklich draußen sind, ehe man einsteigt (bei uns wohl mal so, mal so) und schon gleich gar nicht das Ignorieren der Wartereihen, die an Busbahnhöfen und vor jeder U-Bahn-Tür auf dem Boden aufgezeichnet sind und die regelbewussten Japaner zum gesitteten Umgang mit einander ermahnen.



In Restaurants beweist das schmatzende Schlürfen der Suppennudeln, dass es einem schmeckt, zudem soll man damit sich und anderen noch mehr Appetit machen. Eher unschicklich ist es dagegen, sein eigenes Weinglas einzugießen oder nachzuschenken; schnell könnte man so für einen Säufer gehalten werden. Stattdessen füllt die Bedienung das Glas und die Sitznachbarn schenken einander nach.



Und auch in der Schule herrschen andere Umgangsformen. So sind Minicomputer und Handy überall gesehen, auch Decken für die Beine sind nicht ungewöhnlich, und wie schon berichtet, ist es sogar völlig normal, dass während der Stunde der ein oder andere Schüler schläft.
Ein Toilettenbesuch während der Stunde oder jegliche flapsigen Kommentare gegenüber dem Lehrer scheinen jedoch nahezu undenkbar.



Alles in Allem merkt man bereits an dieser Handvoll Beispiele, dass wir auch unsere noch so selbstverständlich scheinenden Normen nicht als allgemeingültig verabsolutieren sollten.

Und damit müssen wir uns leider auch schon wieder verabschieden vom Land der aufgehenden Sonne und des ewigen Lächelns. Es war eine schöne Zeit und der Abschied fällt uns schwer...
So sagen wir nicht sayōnara, sondern itte-kimasu: Wir gehen, aber kommen wieder!



1 Kommentar:

  1. Schade, dass es jetzt wieder zurück nach Deutschland geht! Würde gerne Eure Berichte noch weiter lesen. Ich drücke Euch die Daumen, das der Rückflug wenigstens reibungslos verläuft. Ist ja auch mit SwissAir.
    ガんばってね。

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